Rien ne va plus

Andrej Blatniks Erzählungen ”Das Gesetz der Leere“

Das Fazit ist düster: Unsere Gesellschaft leidet an Kommunikationsstörung. Ob Freund und Freundin, Ehemann und Ehefrau - man redet aneinander vorbei, man versteht sich nicht. Was schon Tschechow diagnostizierte und so treffend vorführte, beschäftigt den slowenischen Prosaisten Andrej Blatnik (Jahrgang 1963), Verfasser zweier Romane, mehrerer Erzählbände und zahlreicher Rundfunkstücke, auf seine Weise. Als wäre das Leben nur auf Absurdität aus, enden bei ihm Annäherungsversuche in Unverständnis, Idiosynkrasien in Zerwürfnis, menschliche Regungen in der Katastrophe. Ob einer mit Wortstiletten oder mit der blanken Pistole kämpft: Immer wirkt er lächerlich, hilflos und einsam. Wobei die Frauen, wenn es zu Gewalt kommt, noch ausgelieferter sind.

Auch in seinem jüngsten Erzählungsband, ”Das Gesetz der Leere“, entwickelt Blatnik aus banalen oder prekären Situationen Vorgänge von befremdlicher Eigengesetzlichkeit. Wie ferngesteuert bewegen sich seine Helden in Verhältnissen, die sie durch minimale Gesten (scheinbar) aus den Angeln heben. In Wirklichkeit gehorchen sie nicht ihrem Willen, sondern der Mechanik einer Konstellation, dem Gesetz dumpfen Instinkts. Das verhindert Tragik (im klassischen Wortsinn), erzeugt aber eine seltsame Spannung.

Ein Mann geht auf Reisen, um telefonisch über den Umweg des Sohnes mit seiner Frau zu kommunizieren. Weder offen noch verschlossen für Lockungen, driftet er durch Hotelöden und Missverständnisse, bis ihn die bittende Kinderstimme womöglich zur Heimkehr bewegt. - Eine junge Frau verdient sich ihr Leben damit, am Telefon gehörte Geschichten aufzuschreiben, um den Erzählenden Erleichterung zu verschaffen. Während sie beruflich offenbar reüssiert, scheitert sie im alltäglichen Umgang, wie die verqueren Dialoge mit der Ich-Figur zeigen. - Ein Mann ertappt seine Frau beim Beischlaf mit seinem besten Freund. Schon hat er eine Pistole zur Hand, doch die Kugel trifft eigenwillig den Fernseher. Statt einer negativen entsteht nun eine positive Kettenreaktion, die zum Schluss alle drei Beteiligten friedlich-betrunken im selben Zimmer schlafen lässt.

Blatnik erspart sich psychologische Herleitungen. Minuziös fährt er der Oberfläche der Phänomene und Worte entlang, bis durch eine geringfügig-jähe Wendung alles ins Trudeln gerät. Zwischen Slapstick, Wunder, Zufall und Unheil ist dabei oft kaum zu unterscheiden, ausser dort, wo die Konsequenzen eine allzu deutliche Sprache sprechen. In der Erzählung ”Amtliche Version“ herrschen die Gesetze des Krieges. Nach etlichem, beklemmend geschildertem Zögern entschliesst sich ein Soldat, eine fliehende Frau zu erschiessen, um der Vorschrift Genüge zu tun. In der Folge dreht er durch und wird von seinen Vorgesetzten brutal beseitigt.

Andrej Blatniks Augenmerk gilt jenen sekundenschnellen Vorgängen, die das Schachbrett des Lebens neu ordnen. Eine Geste, ein Finger am Abzug, ein Wort - und nichts ist mehr, wie es war. Warum es so weit kommen konnte, was es damit auf sich hat, muss der Leser allerdings selber erraten. Der Autor enthält sich konsequent jeder Wertung, jeder Moral. Und tut gut daran. Denn gerade der Reduktionismus verleiht seinen Erzählungen eine eigenartig intensive, mitunter geheimnisvolle Aura.

Was wird aus der Frau, die mit gefälschtem Pass einem Mann über die Grenze folgt? Was aus dem Kind, das aus der verhassten Harmonika eine elektrische Gitarre basteln wollte und damit ungewollt zum Mörder seines Trinkervaters wurde? Die Geschichten setzen in medias res ein und brechen oft unvermittelt ab. Dennoch rücken uns die Figuren nahe, werden wir soghaft in Situationen hineingezogen, die uns noch lange nachgehen.

Blatniks Kunst erinnert in ihrer suggestiven Lakonie an die Raymond Carvers, dessen famoser Erzählungsband ”What We Talk About When We Talk About Love“ hier explizit und implizit Pate stand. Aus der Filmecke grüssen Robert Altmans ”Short Cuts“, aber auch Szenen der Nouvelle Vague. Das sind ambitiöse Vergleiche. Blatnik hält ihnen nicht durchwegs stand, verfügt jedoch über beachtliches Talent. Als Protokollant zwischenmenschlicher Entfremdung in einer fatal entzauberten Welt wird er noch von sich reden machen.

Ilma Rakusa

Andrej Blatnik: Das Gesetz der Leere. Erzählungen. Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Folio-Verlag, Wien-Bozen 2001. 163 S., Fr. 32.70.

Neue Zürcher Zeitung, 14. Februar 2002, Ressort Feuilleton

 

 

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